Unsere letzten Tage auf Grenada brechen an und wir warten auf ein gutes Wetterfenster. Im morgendlichen Funkspruch erfahren wir im Cruisers Net von der örtlichen Club Regatta und es gibt noch einen letzten freien Platz für ein Team. Das schreit förmlich nach uns. Wir wollten schon seit längerem zusammen mit Anna und Wolfgang Segeln und wir brauchen einen Zeitvertreib, bis das Wetter für unsere Weiterreise passt. Aus Ronja und Sir wird Team RonSi und wir melden uns an. Die J24 werden von der Marina gestellt und sind alle drei relativ ähnlich gebaut, eher rudimentär ausgestattet und die Leinenführung chaotisch. Wir freuen uns wie kleine Kinder und sind hochmotiviert.
Woburn Bay, Dinghy Dock
ein boot ist ein boot - drei boote eine regatta
Wir sind positiv nervös. Noch nie sind wir zu viert gesegelt. Vor den insgesamt drei Rennen werden wir mit einem Dinghy zu unserem Boot gebracht und uns bleiben keine 5 Minuten, um das Boot vor dem Start kennen zu lernen, geschweige denn irgendwas groß zu besprechen. Im Vordergrund steht natürlich der Spaß (jaja) aber der Ehrgeiz schwingt selbstverständlich mit. Auf keinen Fall wollen wir Letzter werden. Unsere Rollenverteilung ist klar: Claudius behält den Überblick und steuert, Wolfgang tobt sich an den Schoten aus und die Mädels klettern auf dem Vordeck hin und her, verteilen das Gewicht und spielen lebenden Spibaum.
Unser erstes Rennen. Kurz vor dem Start springen wir aus dem Dinghy in unsere erste J24. Wir hissen pflichtbewusst unsere Team-Flagge und mehr oder weniger kurz danach hören wir bereits den Signalton - es bleiben drei Minuten bis zum Start. Noch etwas desorientiert gleiten wir mit gutem Timing durch die beiden Tonnen. Die erste Runde ist ein Mix aus Rantasten und Grenzen testen. Jeder findet in seine Rolle, entwickelt die optimale Technik und das Boot wird ordentlich gefordert. Erstmal bestehen wir auf unser Wegerecht und liegen auf Platz zwei. Wir gleiten weniger als einen Meter an den anderen Booten vorbei, die Mädels können auf dem Vordeck kaum hinschauen aber Claudius behält eisern die Nerven.
Kurz darauf rauschen die ersten Böen rein. Anna und Sventja geben alles, rutschen von links nach rechts, Hauptsache das Gewicht stimmt und wir parieren die heftigsten Böen gut aus. Wir sind in der zweiten Runde, liegen auf Platz 2 und kurz vor der Tonne zum Wenden erwischt uns eine heftige Böe. Maximal ehrgeizig pressen wir so hoch es geht, aber der Mast kränkt sich immer weiter Richtung Wasser. Wir müssen um die Tonne rum, haben nicht genug Vorsprung um nochmal zu wenden und unseren Platz vor dem anderen Boot zu sichern. Wir liegen fast flach und es fehlt nicht viel, alle halten sich mit Händen und Füßen irgendwo fest. Die Reling hängt schon längst im Wasser und vor dem inneren Auge kentern wir bereits. Grenze des Bootes also erreicht. Wir schaffen es zwar um die Tonne, verlieren aber viel an Geschwindigkeit, sodass unser Gegner an uns vorbei zieht.
Team Ronsi jeweils auf dem linken Boot; Woburn Bay, Grenada
Mit achterlichem Wind auf Kurs zurück positionieren wir uns direkt hinter unserem Gegner, um ihm möglichst viel Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Plan funktioniert und wir holen auf, keine Bootslänge sind wir hinter ihm. Anna gibt alles und baumt unser Vorsegel per Hand aus, der Rest bewegt sich möglichst wenig und wir verringern den Abstand immer mehr. Wir steuern auf die letzten Tonnen zu, die umrundet werden müssen, bevor es zur Ziellinie geht. Der Wettkampf ist eröffnet und wir wollen das direkte Duell für uns entscheiden.
Kurz vor den beiden Tonnen, durch die wir durch müssen, sind wir gleichauf. Claudius hält das Steuer auf Kurs und die Bootsrümpfe trennen keine 30 cm mehr, die Großbäume schlackern nur Zentimeter aneinander vorbei. Unser Gegner wählt den Kurs nach Backbord, wir müssen nach Steuerbord ausweichen und den weniger optimalen Kurs Richtung Ziellinie nehmen. Wir steuern in einem guten Winkel um die Tonne, Wolfgang gibt ordentlich Gas an den Leinen und die Mädels wechseln die Seite so flott wie nie. Eine letzte Traumwende bevor wir auf die Ziellinie halten. Wir sind auf Steuerbord-Bug, unser Gegner auf Backbord und hat damit Wegerecht. Keine guten Vorzeichen aber wir rufen uns gegenseitig wie auf dem Schlachtfeld zu und motivieren uns nochmal. Es ist eng als die nächsten Böen reinrauschen und unser Kontrahent nochmal wenden muss. Unsere Chance aufzuholen ist dadurch riesig und wir steuern voller Adrenalin auf das Ziel zu. Keine halbe Bootslänge haben wir Vorsprung, bloß keinen Fehler mehr machen. Wir halten die Luft an als wir zuerst über die Ziellinie gleiten und jubeln, als gäbe es kein Morgen mehr. Es ist zwar nur der zweite Platz im ersten Rennen, für uns fühlt sich der Kopf-an-Kopf Sieg an wie das Größte. Wir kommen aus dem Grinsen nicht mehr raus - egal was heute noch kommt, Team RonSi ist happy und bringt es lautstark zum Ausdruck.
1. Boot von links - Start unseres ersten Rennens in der Woburn Bay
Rennen Nummer 2 (nach jedem Rennen werden die Boote getauscht) verläuft ähnlich. Wir liefern uns das nächste Kopf an Kopf Rennen um Platz zwei. Anna und Sventja gehen abwechselnd in einer Wende fast über Bord und können sich im letzten Moment noch abfangen und festhalten. Wolfgang hat längst Blasen an den Händen und bei den Mädels kommen die ersten Blessuren, Schrammen und blauen Flecken zum Vorschein. Claudius dirigiert uns geschickt und steuert haarscharf um die ankernden Boote herum. Regatten sind also Schwerstarbeit, die uns ziemlich viel Spaß macht. Wir beenden das zweite Rennen wieder auf Platz 2, nur knapp vor dem dritten Boot und werden am Dock gefeiert, wie spannend wir es für die Zuschauer machen.
Alle guten Dinge sind drei und wir beenden schließlich Rennen Nummer drei im dritten Boot ebenfalls auf dem zweiten Platz, diesmal relativ entspannt, da die Boote beim Zieleinlauf weiter auseinander liegen. Macht der Gewohnheit jubeln wir trotzdem ausgelassen, als wir für heute das letzte Mal über die Ziellinie segeln. Wir haben so viel Freude und genießen die gemeinsame Zeit zu viert an Bord.
In der Gesamtplatzierung schaffen wir es in das Mittelfeld und werden bei der Siegerehrung zum „happy Team“ gekürt, weil wir durch unsere Feierlaune positiv aufgefallen sind. Passt für uns, wir lassen den Nachmittag entspannt ausklingen, bevor wir abends wie Babys in den wohlverdienten Tiefschlaf fallen.
Die nächsten Tage pflegen wir unsere blauen Flecken und Schrammen während das gute Wetterfenster immer näher kommt. Unsere Flottille wächst auf den letzten Metern auf insgesamt vier Boote: Außer mit Ronja sind wir nun auch mit Kia Ora aus den Niederlanden und der Segelyacht Amnesty aus Nürnberg unterwegs.
Überfahrt nach Los Roques, Venezuela
PIRATEN & GEWITTER?
Nach so langer Zeit vor Anker sind wir fast ein bisschen aufgeregt als wir bei sehr böigem Wind die Bucht verlassen und Kurs anlegen. Unser Ziel steht inzwischen fest. Wir wollen Strecke nach Westen machen und den stärker werdenden Tropical Waves ausweichen. Wir segeln zwei volle Tage und Nächte nach Los Roques, das Inselparadies ca. 170 km vor dem Festland Venezuelas. Es besteht aus über 300 kleinen Inseln und Riffen, umgeben von einer 400 km2 großen Lagune. Der Weg dahin ist in der Theorie unkompliziert. Wir platzieren uns in der Strömung und treiben fast von alleine in die richtige Richtung. Einzig die Warnungen vor Piraten lassen ein mulmiges Gefühl in der Magengegend zurück, besonders vor der Ostküste von Venezuela und damit im ersten Teil des Törns. Außerdem verspricht die Wettervorhersage Squalls und die Wahrscheinlichkeit für Gewitter ist hoch.
Piraten und Gewitter - beides zählt für uns zur Horrorvorstellung an Bord. Aber nichts kann das Gefühl schmälern, endlich wieder unterwegs zu sein, die Windward Islands mitsamt dem Liming hinter uns zu lassen und Kurs auf neue Länder und Kulturen zu setzen.
Unsere vierer Flottille segelt gemütlich vor sich hin. Vor allem in der ersten Nacht ist relativ viel Verkehr und die meisten Tanker weichen uns aus. Wir sind großteils damit beschäftigt den Abstand in unserer Flottille zu halten, damit wir in Funkreichweite bleiben. Nach ca. 50 Stunden haben wir wieder Land in Sicht. Fazit: Keine Squalls, keine Gewitter, keine Piraten. Gute Planung und sicherlich wieder ein Quäntchen Glück.
venezuela
Die SIR unten rechts auf Francisqui; Los Roques, Venezuela
Wir werfen vor Gran Roque den Anker und der Ausblick lässt das Feeling der nächsten zwei Wochen erahnen: hellblau, dunkelblau, türkis, ein bisschen grün abwechselnd mit weißem Sand. Bevor wir ins Paradies eintauchen dürfen, marschieren wir gemeinsam zum Einklarieren. Auf den Antillen war das für uns eher ein lästiges Übel, dafür hat es meist problemlos funktioniert. In Venezuela? Schauen wir mal. Wir müssen mutmaßlich zwischen 4 und 6 Behörden einen Besuch abstatten, es wird nur Spanisch gesprochen und bezahlt wird ausschließlich in US-Dollar. Man könnte einen Agenten anheuern, der das für locker flockige 500 US-Dollar (pro Boot!) für uns erledigen würde, wohlgemerkt zusätzlich zu den eh schon hohen Nationalparkgebühren. Wir erledigen es lieber selbst und sehen es als Erlebnis.
Einfahrt Gran Roque, Venezuela
Der Ort Gran Roque ist klein und überschaubar, die Straßen bestehen aus Sand und wir laufen kreuz und quer. Trotzdem brauchen wir fünf Stunden um alle Bürogebäude zu finden, alle nötigen Stempel abzuholen und unser Bargeld loszuwerden. Die Hälfte von uns versteht Spanisch, Anna spricht dazu noch recht gut und wir werden wirklich unheimlich freundlich empfangen. Man reicht uns Süßigkeiten und wir bekommen alles in einer Seelenruhe erklärt bis wir auch den letzten Satz verstanden haben. Als wir am Flughafen umherirren (das Wort täuscht - es ist ein Streifen Teer mit kleinen Privatmaschinen) fängt uns ein Mitarbeiter der Immigration ab und bringt uns zum Büro des Nationalparks. Wir dürfen maximal zwei Wochen bleiben und wenn wir schonmal da sind, reizen wir das aus. Müde und mit gutem Gefühl hier willkommen zu sein, schmieden wir unsere Pläne, welche Inseln wir uns in den zwei Wochen anschauen wollen.
Happy life auf Los Roques
Die Tage vergehen wie im Bilderbuch. Wir feiern Wolfgangs Geburtstag, spielen Beachvolleyball und bekommen Wingfoiling Unterricht von unserem holländischen Buddy Boat, Irene und Martijn. Abends essen wir bei lokalen Fischern auf der Terrasse zu Abend und erfahren etwas über Land und Leute.
Crasqui, Los Roques
Einkaufen kann man hier auch, einmal in der Woche kommt ein Versorgungsschiff und alles pilgert Richtung Hauptinsel. Ein Fischer bietet an, uns in seinem Boot zusammen mit seiner Familie mitzunehmen und holt uns morgens in aller Herrgottsfrühe ab. Noch schlaftrunken fragen wir uns, ob sein Schlauchboot fünf Erwachsene und ein Kind sicher über die nächsten zwei ungeschützten Seemeilen chauffieren kann. Ja klar versichert er und wir lassen uns mit Restzweifel darauf ein. Wir haben das zwar noch nie gemacht, aber so ähnlich stellt man sich eine Wildwasser-Rafting-Tour vor, Risiko zum Bandscheibenvorfall inklusive. Das kleine Schlauchboot mit 40 PS Motor fegt über die Wellen, klatscht immer wieder mit Anlauf auf das Wasser auf. Man wird milde gesagt durchgehend geduscht und schluckt mehr Salzwasser, als einem lieb ist. Der einzige Gedanke: bloß nicht loslassen und gut festhalten. Wir können frisches Obst und Gemüse kaufen und kommen zwei Stunden später klitschnass und mit einem Lachen im Gesicht wieder an unserem Ankerplatz an. What a ride!
Los Roques, Venezuela
Unser Highlight ist das Schnorcheln. Wir entdecken die schönsten Spots und jeder ist einzigartig. Das Wasser ist glasklar, es gibt unzählige Fische und wir schwimmen mit Riffbarschen, Barrakudas, Kofferfischen, Muränen, Rochen und Schildkröten um die Wette. Wir entdecken Schwärme von Tintenfischen, die unter unserem Rumpf Schutz vor Jägern suchen. Die Korallen haben Formen wie Gehirne und Hirschgeweihe, die Farben wechseln von blau zu grün und orange. Zwischendurch schimmert es rot und lila. Die Unterwasserwelt ist magisch wie nie zuvor. Die Riffe sind in Form und Farbe jedes Mal unterschiedlich nur eins haben sie gemeinsam: Trotz der vielen Fische haben die meisten Korallen deutliche Schäden, sind bleich und der Großteil ist abgestorben. Stichwort Klimawandel und steigende Meerestemperaturen. So beeindruckend die Welt unter Wasser ist, so erschreckend ist ihr Zustand. Nochmal 30 Jahre, und dort unten könnte alles ganz anders aussehen.
Der Vogelwelt dagegen scheint es prächtig zu gehen. Wir sehen so viele Pelikane wie nie zuvor, bis zu 20 Tiere an einem Strand. Sie jagen morgens und abends im seichten Wasser und man kann ihnen Stundenlang dabei zuschauen. Zwischendurch springen kleine Fischschwärme links und rechts vom Boot aus dem Wasser, gefolgt von größeren Raubfischen, die ihr Abendessen rund um die Sir suchen. Unser Angelglück hält sich in Grenzen aber die Fischer bieten uns täglich Barrakudas, Red Snapper und Hummer an.
Los Roques, Venezuela
Wir schwärmen aus und jedes Boot unserer Flottille zieht nach Lust und Laune in eine andere Richtung los. Wir segeln von Francisqui über Crasqui nach Carenero. Die Seekarten stimmen in dem Gebiet nicht und wir greifen auf die gute alte Eyeball Navigation zurück. Sventja steht am Bug und dirigiert zielstrebig im Flachwasser vor den Inseln in die gewünschte Richtung, vorbei an Korallen und sonstigen Hindernissen im Wasser. Die Strände an unseren Seiten erstrecken sich endlos, der Sand ist fein wie Mehl und die Wolken schimmern blau, wenn sich das türkisfarbene Wasser in ihnen spiegelt.
Crasqui und Carenero auf Los Roques, Venezuela
Auf Mosquitoky ankern wir zu dritt mit Ronja & Kia Ora und sind ansonsten vollkommen alleine, keine anderen Boote nur hin und wieder tuckert ein Fischer vorbei. Am Strand türmen sich die ausgenommenen Muscheln, die hier haufenweise auf dem Teller landen. Wir finden die Panzer toter Schildkröten (vermutlich hat die auch mal jemand gegessen) und die Flora ist insgesamt eher rau, stachlig und sehr vom Winde verweht. Die Natur regiert hier gnadenlos und alles Leben passt sich eben an. Wir spazieren staunend über die Insel, nichtsahnend, dass uns die nächste Lektion blüht.
Mosquitoqui auf Los Roques, Venezuela
Wir sind nicht besonders stolz auf das, wovon wir im Folgenden erzählen aber wir berichten unverblümt und wollen nichts unterschlagen. Ein bisschen Scham schwingt mit, gepaart mit Frust und den üblichen „wie bescheuert kann man sein“- Gedanken.
GETEILTES LEID IST HALBES LEID
Während wir den schönsten Abend unter Sternenhimmel am Strand genießen entfaltet sich die Tragödie leise in unserem Hintergrund. Wir sitzen zusammen, schwadronieren bei Gitarre und Bierchen über unser Segler-Dasein, als wir nach einiger Zeit merken, es fehlen zwei von drei Beibooten. Der erste Schock, panisches Umhersuchen am Strand, gefolgt von einem koordinierten Notfallmanagement inklusive Suchtrupp mit dem letzten verbliebenen schwimmenden Untersatz. Über drei Stunden suchen wir vergebens die Umgebung in Windrichtung ab, ohne Erfolg. Wir funken auf Kanal 16 aber hier draußen ist nachts keine Seele unterwegs. Naja, long story short: Die Dinghies von Ronja und Sir haben sich verabschiedet und haben zusammen eine eigene Reise angetreten. Wir werden nie erfahren, wie genau sie abhanden gekommen sind. Vielleicht losgerissen, vielleicht geklaut, vielleicht treiben sie vor der Küste Venezuelas, oder liegen längst auf dem Grund des Meeres. Die Natur, insbesondere das Meer spielt nach eigenen Regeln und diesmal haben wir schlechte Karten.
Die Laune gedämpft, aber wie Jack Sparrow in Fluch der Karibik so schön sagte: Komplikationen sind entstanden, dauerten an und wurden überwunden. Als wir an Bord der Ronja die Flasche Rum finden, die wir eigentlich im verlorenen Dinghy geglaubt haben, verschafft sie der Stimmung am Lagerfeuer kurzfristige Abhilfe und wir fügen uns wie die Piraten von damals unserem Schicksal. Wenigstens teilen wir unser Leid zusammen mit Anna und Wolfgang. Wir suchen am nächsten Tag nochmal die umliegenden Strände ab und informieren die örtlichen Behörden, aber innerlich stellen wir uns darauf ein unser SUP als neuen treuen Gefährten zu krönen. Es werden paddelintensive letzte Tage auf Los Roques.
Für die Nichtsegler: Das Dinghy ist neben dem großen Boot der wohl am meisten genutzte und behütetste Ausrüstungsgegenstand. Treues Gefährt, hält uns mobil und ist unerlässlich für das Leben an Bord. Man wird bei jeder Fahrt nass und es ist oft eine wacklige und langsame Angelegenheit, aber insgesamt weiß man es zu schätzen und möchte es niemals missen. Das Ganze grenzt also an eine mittlere Katastrophe gefolgt von stundenlangem Kopfschütteln.
In liebevoller Erinnerung....
Trotz unseres kleinen Malheurs ist der Stopp auf Los Roques ein einmaliges Highlight unserer bisherigen Reise. Wir sind beeindruckt von der Schönheit über und unter Wasser, der Einsamkeit auf den Inseln und dankbar für die gemeinsame Zeit mit unserer kleinen Flottille. Den Austausch untereinander möchten wir nicht mehr missen. Wir leihen uns gegenseitig Werkzeug, tauschen Vorräte wenn etwas fehlt oder therapieren uns gegenseitig mit Gesprächen, wenn die Stimmung an Bord aus welchem Grund auch immer mal auf wackligen Beinen steht.
Im Westen der Inseln bei Cayo de Agua verbringen wir die letzten Tage wieder zu viert vor Anker und brechen gemeinsam Richtung Curaçau auf. Die ABC Inseln haben wir als technischen Zwischenstopp auserkoren, um Vorräte aufzufüllen und auf gutes Wetter zu warten. Die Aussicht auf reich bestückte Supermärkte und etwas Zivilisation nach den abgeschiedenen Tagen freut uns. Der Kühlschrank ist mittlerweile leer und wir Segeln entspannt in 24 Stunden nach Curaçau.
Squalls am Ankerplatz vor Cayo de Agua in Los Roques, Venezuela
Curaçau
Auf Curaçau angekommen erledigen wir alles mögliche. Wir mieten ein Auto, fahren kreuz und quer für alle möglichen Besorgungen und schauen uns im Schnelldurchlauf die Insel an. Die Supermärkte sind so gut bestückt, wir würden das Kühlregal gerne umarmen wenn es denn ginge. Uns kommen glatt die Tränen bei der Auswahl an europäischen Milchprodukten und endlich wieder Knäckebrot, das nicht nach Pappe schmeckt. Ansonsten ist die Insel - wen wundert es - sehr touristisch, selbst eine Wanderung ohne Guide darf man nur für 20 US-Dollar machen und wir beschränken uns auf unsere nähere Umgebung. Schnorcheln ist beeindruckend, das Wasser ist unheimlich klar und unsere Ankerbucht sehr geschützt. Als der Hurricane Erin im Osten der USA vorbeizieht, leiden wir unter Flaute und damit einer herrlich unerträglichen Hitze. Als danach der Wind wieder einsetzt, wird die tägliche SUP Tour zum Workout. Unsere Freunde von der Segelyacht Amnesty leihen uns ein aufblasbares Kayak, womit wir zumindest zu zweit etwas einfacher mobil sind. Wir versuchen alles wie immer positiv zu sehen, ein Workout bleibt es trotzdem und manchmal macht es sogar ein bisschen Spaß.
Curaçau, Ankerbucht Spanish Waters & Watamula Hole im Norden der Insel
KARIBISCHE REALITÄT
Inzwischen sind wir seit fast fünf Monaten in der Karibik unterwegs. Nach den arbeitsintensiven Monaten in Europa und der hart erkämpften Atlantiküberquerung, lernen wir das langersehnte Leben an Bord über die letzten Wochen nochmal anders kennen. Unsere Reise hat ein langsameres Tempo bekommen, wir zählen nicht mehr die zurückliegenden Seemeilen sondern haben den Fokus auf die Orte um uns herum. Wir wachsen an uns selbst, erleben Dinge zum ersten Mal und lernen täglich Neues kennen. Wir finden unseren eigenen Rhythmus, mal mehr mal weniger gut.
Wurden unsere Erwartungen an die Karibik erfüllt? Mal so, mal so. Die Karibik ist zurecht Ziel von tausenden Touristen im Jahr und das macht es uns als Reisende manchmal schwer. Ausgetretene Pfade findet man selten und Preis-Leistung ist manchmal fragwürdig. Die Natur dagegen überrascht uns positiv. Der Dschungel, die Vulkane, das leuchtende Grün, die beeindruckenden Wasserfälle zusammen mit dem blau glitzernden Wasser und den unzähligen Fischen unter Wasser. Magische Momente mit Delfinen vor St. Lucia und glückselige Cocktails im Cockpit mit Freunden. Unser Leben an Bord ist intensiv, in alle Richtungen.
Die Kehrseite sind Nächte, in denen die Hitze drückt und wir kaum Schlaf finden. Das Salzwasser verkürzt die Lebensdauer von allem was man besitzt. Man kann beim Korrodieren quasi zuschauen und kommt mit Reinigen nicht hinterher. Saubere Klamotten? Fehlanzeige. Wozu auch, wenn 10 Minuten später alles durchgeschwitzt ist. Die Sonne brennt jeden Tag und das eigene Aktivitätslevel ist bestenfalls morgens und abends zu gebrauchen. Ein Bootsprojekt jagt das nächste, endlos dauernde Wartungsarbeiten und Ersatzteile besorgen ist oft mit einer kleinen Weltreise verbunden. Einkaufen wird zum Krafttraining und wenn schon wieder Larven aus dem Mehl kriechen würde man gerne den ganzen Schrank über Bord werfen. Man stelle sich einfach mal vor wie zwei Personen einen Wocheneinkauf zusammen auf einem SUP transportieren. Wir sind abhängig von Wind und Wetter, passt das nicht sitzen wir fest, ob uns der Ort gefällt oder nicht.
Auch zwischenmenschlich ist das Bootsleben herausfordernd, mehr als wir gerne zugeben. Wie oft wir uns gegenseitig gerne zum Mond schiessen würden und uns stattdessen auf unseren wenigen Quadratmetern zusammenreißen müssen. In der Pantry kann man nicht aneinander vorbei laufen ohne einander im Weg zu stehen. Aus dem Weg gehen ist allgemein schwierig, erst recht seit wir ohne Dinghy leben. Schonmal versucht bei 25 Knoten mit dem SUP gegen Wind und Welle zu paddeln?
Das Bordleben ist romantisch im Kopf, in der Realität kämpft man mit den eigenen Emotionen öfters als es einem lieb ist während man irgendwas Teures repariert und danach in sengender Hitze über 2 Kilometer bergauf zum Supermarkt laufen muss.
ABENTEUER > KOMFORT
Trotzdem wollen wir keine Sekunde unserer Reise missen. Der harte Teil des Bordalltags lässt die guten Momente unschätzbar wertvoll werden. Dankbar füreinander sein, Kleinigkeiten zu schätzen wissen und Hilfe annehmen zu können, auch wenn es schwer fällt. Lösungen suchen, wo es keinen Ausweg gibt. Durchhalten, improvisieren und einfach mal machen, auch wenn alle Vorzeichen etwas anderes sagen. Die Sonnenuntergänge sind nicht jeden Tag gleich sondern die Farben werden von Tag zu Tag intensiver. Die ruhigen Ankerplätze sind wertvoller als Gold und die Nächte auf See werden jedes Mal ein Stück magischer. Unser Leben auf dem Boot lehrt uns auf eigensinnige und eindringliche Art und Weise unsere Zeit zu genießen. Komfort ist toll und hin und wieder auch wichtig, aber wenn wir vor der Wahl stehen und Zweifel haben, Komfort vs. Abenteuer, wir würden uns immer wieder für das Abenteuer entscheiden.
Für die nächsten zwei Monate in unserem Abenteuer wählen wir einen entspannten Hafen und machen etwas Festlandurlaub. Eindrücke sacken lassen, das Boot mal Boot sein lassen und in den Bergketten der Sierra Nevada de Santa Marta von Kolumbien kühlere Temperaturen genießen. Nicht weil wir es satt haben, aber weil wir einmal durchatmen wollen. Außerdem ist die Hurricane Saison in vollem Gange und unsere Optionen zur Weiterreise eh begrenzt. Unsere Liste für Reparaturen und Wartungen ist - ihr ahnt es - wie immer sehr lang. Wir wollen einige größere Projekte am Boot in Angriff nehmen und zwischendurch das Land erkunden. Wir freuen uns auf die Marina und einen Ort, an dem wir bewusst länger bleiben und nicht auf der Durchreise sind.
Hasta luego amigos!
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Felix (Samstag, 06 September 2025 08:15)
Sehr schöner Blogeintrag, Sventja, mit wunderbaren Bildern! Besonders die Drohenbilder sind beeindruckend.
Claudius, das ist Nummer #2 der fahrlässig verlorenen Dinghies in Deinem Seglerleben, oder? ;)
Maxi und Melli (Samstag, 06 September 2025 10:05)
Liebe ��
Basti (Samstag, 06 September 2025 23:47)
Schön geschrieben und fantastische Bilder!
Philipp (Montag, 08 September 2025 10:42)
Toller Beitrag und immer wieder schön zum Lesen. Euch alles Gute und viel Spaß bei eurem Landaufenthalt.
Marlis (Montag, 08 September 2025 20:40)
Da habt ihr ja wieder so einiges durchmachen müssen UND gemeistert!!!! RRSPEKT !!! Ich denke in solchen Situationen ohne Möglichkeit weglaufen zu können lernt man mehr über sich selbst und das Leben als sonst irgendwo .