Liming auf Grenada
Liming ist Grenadas berühmte inoffizielle nationale Freizeitbeschäftigung und fester Bestandteil der Inselkultur. Ursprünglich hatte man wohl nichts weiter zu tun, als unter einem Baum zu sitzen und Limetten auszupressen. Mittlerweile beschreibt es die Kunst des süßen Nichts-Tuns, ist weniger eine Aktivität und mehr als ein Zustand zu betrachten. Wer denkt das hat mit faul sein und Zeit verplempern zu tun, der irrt. Liming ist die Kunst, den Moment zu genießen. Mit Freunden oder ohne, ins Gespräch vertieft oder stillschweigend. In der Regel ohne spezifischen Zweck und ohne erkennbare Aktivität. Meist im Freien mit einem Kaltgetränk in der Hand. Man hört zu, plaudert, entspannt und genießt die Atmosphäre um sich herum. Wer noch nicht überzeugt ist, der versuche einfach mal den Moment zu genießen, ohne an seine Pflichten und die nächsten Termine zu denken. Das funktioniert selten auf Knopfdruck und auch wir lernen das Liming während unserer Zeit auf Grenada in unterschiedlicher Form kennen.
St. george
Die ersten Tage verbringen wir an der Westküste vor St. George, der Hauptstadt der Insel. Ein kleines Städtchen mit großem Markt und vielen bunten Häusern. Wir kaufen Gewürze in allen Farben und Formen, verpassen unserem Boot eine Tiefenreinigung in der Marina und füllen unsere Vorräte wieder auf. Der nahegelegene Strand von Grand Anse schafft es immer wieder in die Liste der schönsten Strände und es reiht sich ein Hotel an das nächste. Wir erkunden die Gegend vorwiegend zu Fuß und hin und wieder mit den lokalen Bussen. Ähnlich wie auf St. Vincent winkt man sich die Kleinbusse heran und fährt für weniger als einen Euro eine Weile mit.
St. George - USNS Comfort Hospitalschiff der US Navy - Grand Anse Beach & Umgebung
Prickly bay
Glaubt man dem AIS auf Marine Traffic, so sind die Buchten auf der Südostseite der Insel voller Boote und wir sind neugierig. Es gibt einige Yachten, die über die gesamte Hurricane Season hier liegen bleiben, in den sogenannten Hurricane Holes. Nachdem wir alles Benötigte in St. George besorgt haben, entscheiden wir uns an die Ostküste zu wechseln. Unter Motor gegen Wind und Welle mühen wir uns 10 Seemeilen um die Südspitze von Grenada, bevor wir in der Prickly Bay den Anker werfen.
Prickly Bay

Hier gibt es den zweiten großen Marine- und Bootsausrüster der Insel und wir sortieren unsere Wartungs-to-do-Liste. Der Ölwechsel macht das Rennen, er ist schon länger fällig und wir wagen uns an diese nicht allzu schwere Aufgabe („30 Minuten - länger kann das nicht dauern“). Drei YouTube Videos später sichten wir die Gegebenheiten und stellen fest, es fehlt noch ein Schlauch. Also ab in den Marine Shop und wieder zurück. Das dauert seine Weile. An der Kasse registriert man sich mit seinen Bootspapieren, um steuerfrei einkaufen zu können. Das kann locker mal 15 Minuten extra dauern (sind ja auch sage und schreibe zwei Dokumente, die man sichten muss) und wehe dem, der noch andere Kunden vor sich in der Schlange hat. Wir versuchen uns im Liming und realisieren, uns wird die Aktion vermutlich den halben Tag kosten. Zurück am Boot, kippen wir eine Flasche Öl nach der anderen rein und schauen schon nervös, ob unten vielleicht ein Loch in der Ölwanne ist. Wie viel Öl kann da reinpassen? Nochmal ab in den Marine Shop, noch mehr Öl kaufen, noch mehr Schlange stehen. Unser Motor ist ein Schluckspecht und am Ende wandern sagenhafte 13 Liter in unseren 6 Zylinder. Dafür schnurrt er danach wie frisch gestreichelt und wir haben erstmal wieder Ruhe.
Clarkes court bay
Nach ein paar Tagen ist Zeit für einen Perspektivenwechsel und wir ziehen eine Bucht weiter. Die Squalls, die immer häufiger durchziehen, lassen uns etwas länger als geplant die Wellen auf dem Atlantik genießen. Vor lauter Liming am Ankerplatz haben wir fast vergessen, wie sich hohe Wellen auf See anfühlen. Unsere anvisierte Bucht - die Clarkes Court Bay - liegt unter einer dunklen Gewitterwolke und man sieht kaum Land, schon gar nicht das Riff oder die Bojen zur Einfahrt. Wir bekommen weiter draußen nur den Regen und Böen um die 30 Knoten ab und warten lieber auf offener See, bis der Spuk vorbei ist.
Südostküste Grenada
Die Clarkes Court Bay ist durch Riffe und eine kleinere, vorgelagerte Insel verhältnismässig gut geschützt. Nachdem der Squall durchgezogen ist, manövrieren wir gemeinsam mit der Ronja eine Weile kreuz und quer durch das Ankerfeld. Die Meinungen des optimalen Ankerplatzes gehen auseinander. Wir suchen: Wenig Schwell, ein bisschen Wind aber nicht zu viel. Wir finden: Ruhig und windstill, Wasserqualität fraglich. Mitten im Bojenfeld gefällt es uns und wir werfen den Anker. Die Bucht ist zurecht gut besucht. Wir sind umgeben von dichtem, grün leuchtenden Mangrovenwald und lauschen abends wieder dem Surren und Zirpen der Tierwelt.
Clarkes Court Bay
Morgens gegen 07.30 Uhr sitzen wir mit dem ersten Kaffee vor unserem Funkgerät. Das Cruisers Net auf Channel 66 informiert über anstehende Events, das beste Lunch Angebot und wie man an Benzin für sein Dinghy kommt. Es wird auch über das Wetter diskutiert und ob man den amerikanischen Wetterdiensten nach Trumps Rasur noch trauen kann. Vergnügt lauscht man allen Infos und fischt sich das Interessanteste raus. Herrlich old-school.
Danach widmen wir uns kleineren Arbeiten am Boot. Taue spleißen, Mastfuß abdichten, Nähte am Bimini reparieren, Regal erneuern, Wassermacher warten, Ladegerät der Lichtmaschine umbauen, Kompass montieren. Wenig Zeit für das Liming.
Donnerstags ist bei Nimrods, der Bar ums Eck, die nächste Jam-Session. Wunderbare Gelegenheit, das Liming zu üben. Es wird reichlich konsumiert während man Musik auf Gitarre, Bass, Flöte, Trommeln, Rasseln und natürlich dem Gesang lauscht. Am Anfang noch schüchtern, erreichen die Auftritte in der Mitte des Abends den Höhepunkt bevor sie gegen Ende wieder skurril werden und man besser gehen sollte, wenn es am Schönsten ist. Wir machen Fortschritte im Liming, genießen es aber noch mehr, anderen Leuten dabei zuzuschauen.
Hog island
Samstags landen wir auf dem Flohmarkt auf Hog Island (Cruisers Net Channel 66 sei Dank). Ein kleiner Strand mit Holzverschlag, Hängematten, einer Bar und ein paar Tischen lädt zum Flohmarkt ein. Es tüdelt Musik und das erste Bier ist schon längst offen, als wir um 10 Uhr das Dinghy an den Strand ziehen. Dreibeinige Hunde laufen von links nach rechts, alte Dinghy-Motoren hängen an den Bäumen und im Hintergrund erstreckt sich dichter Mangrovenwald. Wenn man hier nicht anständig limen kann, wo dann? Nach dem Hören-Sagen gibt es hier ein paar entspannte Aussteiger, die auf ihren Booten vor der Insel sesshaft geworden sind und wie in einer Kommune leben. Die Boote sind zum Teil recht klein und man kann sich nur schwer vorstellen, wie sowas mal in See stechen will. Der Flohmarkt ist überschaubar und wir werden trotzdem fündig. Eine Befestigung für unser Dinghylicht und ein Hafenhandbuch für Kolumbien wandert für einen schmalen Taler in unseren Besitz, bevor wir vor der Mittagshitze zurück in unsere Boote flüchten.
Strand von Hog Island
Sonntags sind wir bei anderen deutschen Seglern zum Essen eingeladen. Es gibt Kartoffelsalat mit gegrillten Würstchen - ein Stück Heimat findet sich recht einfach auf dieser Welt. Wir tauschen unsere Geschichten über die schlimmsten Bootsprojekte aus, schwärmen über die schönsten Passagen und schwadronieren bei lokalem Rum über die aufregenden Erlebnisse unserer bisherigen Reise. Immer wieder treffen wir uns mit anderen Seglern und stellen fest, unabhängig der Größe des Bootes, des Alters der Crew und der unterschiedlichen Lebensentwürfe - wir haben alle die gleichen Herausforderungen und uns verbindet am Ende die Neugierde auf unsere Welt, die Abenteuerlust auf das Unbekannte und die grundlose Zuversicht, dass am Ende alles gut werden wird.
Genug vom liming?
Wir sind entschleunigt und werden für unsere Verhältnisse fast schon sesshaft. Die Insel strahlt eine Gemütlichkeit aus und wir fühlen uns wohl. Man kennt die Strecken der Minibusse, weiß in welchem Supermarkt es günstig ist und wen man Fragen kann, falls noch Wünsche offen bleiben. Haben wir das Liming etwa verinnerlicht? Nicht ganz, wir haben Hummeln im Hintern und wollen weiter. Der Wind am Ankerplatz riecht nach Abenteuer und die Wellen vor der Bucht warten sehnsüchtig, bis sie uns zu neuen Ufern tragen dürfen. Aber die Wetterlage ist nicht optimal, unser Buddy Boat Ronja kämpft mit ihrem Rigg und wir müssen noch einen Fehler an unserm Autopiloten ausmerzen. Wir üben uns in Geduld sowie Gelassenheit und bleiben weiterhin auf Grenada.
Clarkes Court Bay
Seit einer Weile beobachten wir mit zunehmender Sorge unseren Rumpf und die Ankerkette. Wir können uns nicht erinnern, unseren Rumpf grün gestrichen zu haben. Der grüne Belag aus Algen und Muscheln erobert unser Unterwasserschiff schleichend aber sehr erfolgreich. Bevor wir festwachsen und in die Kommune auf Hog Island eintreten müssen, machen wir uns an die Arbeit. Mit Schnorchel, Tauchgurt und Flossen bewaffnet, schuften wir uns mit Spachtel und Bürste um das Boot herum, runter bis zum Kiel und Ruder. Die Schraube macht besonders viel Freude. Gefühlt setzt sich das abgekratzte Grünzeug einen Meter weiter gleich wieder auf dem Rumpf ab. Währenddessen besuchen uns kleine Fischschwärme, die neugierig zuschauen, als würden sie uns fragen was für einen Unsinn wir da treiben. Uns krabbeln Krebse entgegen, die sich gleich wieder in den Eingängen unserer Seeventile verstecken. Hochleistungssport! Wir belohnen uns im Nachgang mit süßem Nichtstun in der Hängematte (man ahnt es, das Limen üben) und einem Stück lokaler Schokolade. Danach beschließen wir, unseren Ankerplatz nochmal zu wechseln und legen uns weiter draußen in die Strömung, mit der Hoffnung auf weniger Bewuchs.
Clarkes Court Bay
Zur Abwechslung zwischen den Bootsarbeiten wagen wir den Ausflug in den Norden der Insel. Ziel ist eine Schokoladenfabrik. Wir stehen vor der Wahl ungefähr 300 US Dollar für ein Touristen-Taxi (für den ganzen Tag) zu nehmen oder für etwa 3 US Dollar mit dem Bus zu fahren. Die Entscheidung fällt uns äußerst leicht. Zu unserem Glück quetschen wir uns zu viert auch noch in die letzte Reihe des Busses und kommen nach 1,5h Stunden an unserem Ziel an. Wir sind, milde gesagt, ordentlich durchgeschüttelt. Das ständige Anfahren und Abbremsen, das Beschleunigen von 0 auf 100 km/h auf kürzester Strecke und Kurven wie Sand am Meer gestalten diese Busfahrten sehr abenteuerlich. Trotzdem genießen wir den Vibe der Einheimischen und bestaunen die beeindruckende Ostküste der Insel. Grinsend werden wir beim Aussteigen gefragt, ob wir die Fahrt genossen haben. Dafür setzt uns der Busfahrer direkt vor unserem Ziel ab, obwohl das nicht mal auf der offiziellen Strecke liegt. Das passiert uns schon das zweite Mal und uns fällt auf, wie gemütlich und freundlich die Menschen beim Busfahren sind. Schulkinder, die mitfahren, werden nach dem Aussteigen bis vor die Haustür begleitet. Älteren Frauen wird über die Straße geholfen, bevor sie mit samt aller Tüten in den Bus verfrachtet werden. Ist auch irrelevant, wie lange das dauert, der Busfahrer holt es auf den nächsten Kilometern sicher wieder rein. Taschen und Regenschirme werden abgenommen und jeder hilft jedem. Man achtet gegenseitig aufeinander und hat weniger das Gefühl, alleine unterwegs zu sein.
Belmont Estate
Nachdem uns der Busfahrer abgesetzt hat, stehen wir staunend vor dem Belmont Estate, einem sehr gepflegten Anwesen und angrenzender Schokoladenfabrik. Mit Wurzeln aus dem 17. Jahrhundert, bewirtschaftet das Familienunternehmen seit einigen Generationen über 120 Hektar Land. Wir erfahren alle Schritte von der Kakaobohne über die Fermentierung und Trocknung der Bohnen bis zur Herstellung der Tafeln und deren Verpackung. Die Kakaobäume haben sich nach dem letzten Hurrikan noch nicht vollständig erholt und die Produktion ist zur Zeit nicht ausgelastet. Zusätzlich ist Nebensaison und es wird nur zweimal die Woche geerntet. Außerdem kommen aktuell keine Kreuzfahrttouristen. Glück für uns und unser Besuch ist ziemlich entspannt, sehr informativ und wir dürfen sogar die Eigentümerin des Anwesens kennenlernen. Hinter dem Haupthaus entdecken wir noch die Ziegenherde, deren Milch für die Käseproduktion genutzt wird, bevor wir uns auf den Rückweg machen. Wir finden einen modernen Bus mit Kopfstützen (!) und Klimaanlage (!!) und fallen vor Müdigkeit fast in einen Tiefschlaf, während wir 1,5h zurück in den Süden der Inseln pendeln.
Kakaobaum - Kakaofrucht - Fermentation in Kisten - Trocknung der Bohnen & Lagerung in Säcken
Gemütlichkeit kennt keine grenzen
Während unserer Zeit in Grenada amüsiert uns nachhaltig die Servicewüste in Restaurants und auch anderen Shops. In Deutschland würde man sagen „was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen“. Hier gehört es zum Standard alles einzeln zu bringen und drei Mal nachzufragen, was noch fehlt. Es dauert Jahrhunderte bis die Bestellung aufgenommen wird, ein weiteres Jahrhundert bis die Bestellung kommt und der Rechnung darf man hinterherlaufen. Macht keinen Unterschied ob der Laden halb leer ist oder wir die einzigen Gäste weit und breit sind. Die Gemütlichkeit kennt hier keine Grenzen. Alles funktioniert nach Grenada Time - maybe later. Noch nie jemanden im Stress gesehen. Ist das etwas Schlechtes? Die Meinungen gehen auseinander und wir sind uns noch nicht einig darüber. Aber wir sind uns sicher: Es muss etwas mit dem Liming zu tun haben.
Jemanden schnell arbeiten sehen haben wir das erste und einzige Mal bei Customs und Immigration (einer Behörde!), als wir 10 Minuten vor deren Mittagspause aufgetaucht sind und unsere Cruising Permit verlängern wollen. Vor lauter Panik abgewiesen zu werden, fragen Anna und Sventja in freundlicher Manier, ob man das noch schnell erledigen könnte. Wir lassen ein „Ladies, you are very late“ über uns ergehen und nicken schuldbewusst. Zwei Stempel auf unseren Dokumenten später, zahlen wir die Rechnung und die Nummer war tatsächlich in fünf Minuten erledigt. Liming schön und gut, aber solche Effizienz macht uns doch glatt glücklich.
Gleichzeitig stellen wir aber auch fest, wir sind schon stolze vier Wochen auf Grenada. Einen ganzen Monat. Der Wetterbericht ist immer wieder durchwachsen und kleinere aber wichtige Arbeiten halten uns vom Weitersegeln ab. Wir suchen weiterhin die weniger touristischen Orte und noch mehr beeindruckende Unterwasserwelt.
Tobago bietet sich als nächstes Ziel an. Nicht viele Segler planen den Törn, weil man für ca. 80 Seemeilen in der Regel mit hartem Am-Wind-Kurs gegen Wind und Strömung ankämpfen muss, um die Insel zu erreichen. Für uns umso interessanter. Allerdings sollten Wind, Strömung und Welle mehr als halbwegs passen. Auch den Cape-Index, das Risiko für Gewitter, haben wir bei unserer Planung im Auge. Es stimmen zu viele Faktoren diese Woche nicht und das Wetter wird insgesamt ungemütlicher. Eine Tropical Wave nach der nächsten zieht vom Atlantik über uns hinweg und wir überlegen, ob wir nicht gleich weiter nach Westen ziehen sollen.
Los Roques ist unsere Alternative. Auf halbem Weg zu den ABC Inseln erstreckt sich das Atoll von Venezuela mehr oder minder mitten in der Karibischen See. Beim nächsten Liming werden wir darüber beraten und so lange dürft ihr gespannt auf Marine Traffic verfolgen, wohin sich unsere kleine Flottille als nächstes treiben lässt.
Bis dahin, happy liming!

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