#11 - St. Vincent und die Grenadinen

St. Vincent - Bequia - Mayreau - Tobago Cays

BLUE LAGOON

Wir entscheiden uns entlang der Ostküste von St. Vincent bis in den Süden zu segeln. Belohnt werden wir mit perfektem Wind, einem heftigen Squall mit Regen aus Eimern und einem wunderschönen Blick auf die Wälder und Berge der rauen Atlantikküste. Am Südzipfel schiebt uns die Strömung mit zusätzlichen 4kt ordentlich an und wir schaffen es vor der Dunkelheit an eine Boje vor Young Island. Bevor Claudius seinen Heimatbesuch antritt, sollen das Boot inklusive Sventja an einem halbwegs sicheren und gemütlichen Ort geparkt werden. Die Blue Lagoon soll es werden. Eine geschützte Bucht mit wenig Schwell, genug Infrastruktur und etwas Abwechslung. Den malerischen Ausblick und einen wunderschönen Garten mit hohen Bäumen gibt es gratis dazu. Claudius fliegt guten Gewissens auf die Hochzeit seines besten Freundes und Sventja hütet das Boot: Persenning reparieren, Rost entfernen und Polieren, Rumpf von Algen befreien, Filter sauber machen. Nach 6 Tagen trifft unser Buddy Boat Ronja ebenfalls im Hafen ein und Sventjas Bruder Hendrik kommt zu Besuch. Sightseeing und Ausflüge stehen an.

Ostküste & Blue Lagoon, St. Vincent

KINGSTOWN

Die Hauptstadt der Insel hat ca. 13.000 Einwohner und ist für uns die größte Stadt seit langem. Fortbewegung ist simpel: Man winkt sich Kleinbusse vom Straßenrand ran und kann für 2 EC Dollar (ca. 30 Cent) mitfahren. Die Busse sind nach europäischen Standards vermutlich für 9 Leute ausgelegt. Hier wird gequetscht, gefaltet und gedrückt bis irgendwann zwischen 14 und 18 Personen verfrachtet werden können. Bei der Lautstärke an Musik würde sowieso keiner eine Beschwerde verstehen und falls man Probleme mit der Nähe fremder Menschen hat, gibt es die Konfrontationstherapie gratis dazu. Immerhin, falls wir einen Unfall hätten, würden wir nicht weit fliegen, wohin auch. Bei allem Respekt, aber der Fahrstil der Busfahrer auf der Insel ist wirklich unterirdisch.

 

Wir schaffen es heil anzukommen und gehen auf Fotosafari. Die Stadt ist sehr geschäftig. Viele Straßenverkäufe, ein großer Markt mit allem an Obst und Gemüse was das Herz begehrt. Kirchen, viele Schulen und wenig bis keine Touristen. Wir sind zumindest an diesem Tag die einzigen Weißen weit und breit. Der botanische Garten ist über 250 Jahre alt und wir legen uns in der größten Mittagshitze unter die riesigen alten Bäume. Vor der Rückfahrt kaufen wir auf dem Markt ein und lassen uns am Ende noch Brotnüsse aufschwatzen, sowas ähnliches wie Kastanien. Im vollen Bus zurück hat Sventja die Tüte auf dem Schoß und entdeckt die Kakerlaken in der Nuss-Tüte. Muss man alles mal mitgemacht haben, denken wir uns.

Kingstown, St. Vincent

LA SOUFRIÈRE

Im Norden der Insel thront ein Vulkan, der 2021 zuletzt ausgebrochen ist. Besteigung geht angeblich nur mit Guide und gegen eine horrende Summe, aber unsere Faszination ist ungebrochen und wir wollen in den Dschungel. Unser Guide ist ungefähr in unserem Alter und ein bisschen speziell. Er zündet sich durchgehend eine Zigarette nach der anderen an, wechselt zwischendurch auf einen Joint und lässt seine Handymusik lautstark laufen während wir hinter ihm her hecheln. Davon abgesehen, ist die Natur unheimlich schön. Leuchtend grün, kühler Wind und leider auch sehr neblig. Unser Guide weigert sich aus diesem Grund mit uns bis zum Kraterrand aufzusteigen. Es wirkt als fürchtet er sich vor Geistern am Berg. Wir nörgeln noch ein bisschen und schaffen noch ein paar Höhenmeter weiter. Die Stimmung wird etwas bedrückt und wir beugen uns schließlich dem Willen unseres Guides und drehen um. Etwas enttäuscht und unsicher was wir von dem Tag halten sollen, steigen wir ab und lassen uns mit dem Fotografieren viel Zeit. Sventja löchert den Guide währenddessen mit Fragen und wir lauschen ihm in der Stille des Dschungels nebst krachender Handymusik während alles nach Marihuana riecht. 

 

Er erzählt uns von seinem Haus aus Holz, das einmal im Jahr entweder durch einen Hurrikan oder tropischen Sturm dem Erdboden gleich gemacht wird. Zuletzt vor einem Jahr im Juli, als Hurrikan Beryl die Region heimsuchte. Seit der Jugend raucht er Marihuana und ist deshalb ein paar Mal von der Schule geflogen. Er hat einen Abschluss in Engineering und Elektrotechnik geschafft, findet aber keinen Job und arbeitet deshalb als Führer für Touristen. Schon duzende Male war er auf dem Vulkan. Ich frage was er sich wünscht und was er gerne in St. Vincent ändern würde, wenn er könnte. Die Regierung müsste man austauschen, sagt er. Die Jugendarbeitslosigkeit im Land liegt bei über 40% und sie bemühen sich zu wenig, daran etwas zu ändern. Stattdessen machen die Politiker viel für den Tourismus und es gibt hohe Strafen, wenn man bei Diebstahl oder Überfällen auf Touristen erwischt wird. Er würde gerne mit seinen beiden Töchtern nach Grenada auswandern. Dort ist es sicherer und man hat bessere Zukunftschancen. Warum er das nicht macht? Er verdient nicht genug Geld und hat keinen Pass. Ein Teufelskreis.

 

Seine Worte stimmen uns nachdenklich. Zugegeben, zuerst waren wir genervt, wie er uns motivationslos durch den Wald scheucht mit seiner Zigarette in der Hand. Während wir die letzten Meter zurück in die Zivilisation laufen, denken wir im Stillen über unsere eigene Situation nach. Wir haben die menschliche Lotterie gewonnen in Europa geboren zu sein, gute Ausbildungen genossen zu haben und gutes Geld zu verdienen. Das Ganze mit einem Pass, der uns so selbstverständlich ausgestellt wird und mit dem wir problemlos die Welt bereisen können. Ein riesiges Privileg, das mit Worten nicht annähernd zu beschreiben ist und für das wir sehr dankbar sind. 

La Soufrière, St. Vincent

YOUNG ISLAND 

Die letzten Tage brechen an, bevor Claudius zurückkommt und wir weiter segeln wollen. Wir entdecken ein verlassenes Hotel, streifen durch die Gassen und pflücken Mangos von den Bäumen. Außerdem hat unser Liegeplatz in der Blue Lagoon einen Haken: Wir können nur bei Hochwasser ein- bzw. ausfahren, da unser Tiefgang mit 2 Metern ansonsten zu tief für den Kanal im Riff ist. Nur noch zwei Tage ist Hochwasser bei Tageslicht und im Dunkeln ist es noch schwieriger, wenn man das Riff nicht sieht. Wir müssen somit an eine Boje vor Young Island wechseln, diese sind tidenunabhängig. An sich kein Problem, hätten wir nicht einige Tage zuvor einer Yacht dabei zugeschaut, wie sie in genau diesem Kanal auf Grund gelaufen ist. Nach unseren Erfahrungen aus den Niederlanden wissen wir, wie unangenehm das ist. Fünf Dinghies haben erfolglos versucht das Boot frei zu schieben. Erst als die Crew beide Segel hochgezogen hatte, hat die Yacht genug Kränkung bekommen, um sich frei zu schieben. Danach durften sie unter vollem Tuch in einem dichten Bojenfeld manövrieren. Kurz gesagt, kein einfaches Manöver und definitiv keins, auf das Sventja mit ihrem Bruder scharf wäre.

 

Bei der Einfahrt hatten wir noch ca. 10cm unterm Kiel, durchaus knapp also war der Plan der gleiche: Ausfahrt nur bei maximalem Hochwasser. Obwohl der Tidenhub in der Karibik gering und normalerweise zu vernachlässigen ist, brauchen wir ihn hier. Vorab werden alle Manöver akribisch durchgesprochen, zuerst fährt die SY Ronja und dahinter die SY Sir aus der Lagune. Böen mit 20 Knoten von hinten und Strömung von der Seite machen es zusätzlich spannend. Die Zahl auf der Tiefenanzeige wird immer kleiner, noch 1 Meter, 0,9… 0,8 … Vor dem Kanal liegt ein altes Frack, wie eine riesige Warnung, das auch noch umfahren werden will. Wir halten genug Abstand zum rostigen alten Rumpf und landen bei 0,5… 0,4.. 0,3 Meter unterm Kiel. Jetzt ist man leicht nervös und wirft zusätzlich noch ein Auge auf die Geschwindigkeit. Bloß nicht schneller als 2 Knoten sein, falls man doch Grund berührt. Keine Chance, obwohl schon längst ausgekuppelt wurde, schiebt uns der Wind an und wir sind noch immer 3 Knoten schnell. Die Hand schon am Schalthebel zum Aufstoppen und kurz vor der Schnappatmung ist Erleichterung in Sicht: Die Zahl des Tiefenmessers wächst wieder und wir haben kurze Zeit später über 2 Meter unter unserem Kiel. Selten so geschwitzt und heil froh, es ohne Zwischenfall gemeistert zu haben.

 

Wir manövrieren uns aus dem restlichen Riff und lassen uns durch die Atlantikwelle schaukeln, bevor wir in den Wind- und Wellenschatten von Young Island entspannt an eine Boje gehen. Wir vertreiben uns die Zeit mit schnorcheln bevor Claudius zwei Tage später landet und es wieder heißt, klar zum Ablegen und Kurs südwärts.

Young Island, St. Vincent

BEQUIA

Bequia ist das nächste Ziel. Einen ruppigen aber kurzen Törn später liegen wir in der Admiralty Bay vor Anker. Die Jungs gehen auf Angeltour im Dinghy und keine Stunde später kommen sie mit vier Fischen wieder. Anna und Wolfgang werden zum Abendessen eingeladen und wir genießen die Stimmung der Bucht. Am nächsten Tag wird das neue Weitwinkelobjektiv für die Kamera ausgiebig getestet. Wir finden eine gewöhnungsbedürftige Bar aus Wal-Knochen. Bequia ist eine der wenigen Inseln, die noch traditionellen Walfang betreiben und sie dürfen jährlich 4 Buckelwale erlegen. Wir trinken seit langem mal wieder guten Kaffee und füllen Vorräte sowie die Gasflasche auf, bevor wir weiter Richtung Grenadinen wollen.

Admiralty Bay, Bequia

Jeder, der dieses Jahr noch keinen Urlaub gebucht hat sei gewarnt: Ab hier verbreiten wir maximale Urlaubs-Vibes und motivieren mit unseren Fotos alles und jeden, Reißaus zu nehmen. Gern geschehen…

Saltwhistle Bay, Mayreau

MAYREAU

Wir landen in einer Bucht vor Mayreau. Bei der Einfahrt erwischt uns ein heftiger Squall, wir vergessen vor lauter lauter die Angel und müssen nach dem Ankermanöver unsere Angelschnur aus dem Propeller schneiden. Wir sehen es entspannt und wissen, es gibt für alles ein erstes (und hoffentlich letztes) Mal. Ein Fisch hat auch noch angebissen als der Köder schon längst verheddert war. Er hat mehr Glück als Verstand und entwischt uns bevor wir das Messer ansetzen können.

 

Der Ausblick stimmt uns auf die nächsten Tage ein: Türkisblaues Wasser, saftig grüne Palmen, der Strand so weiß wie Porzellan und der Rum Punch schmeckt erstaunlich gut. Da ist sie ja endlich, die Karibik wie wir sie alle in Deutschland vor Augen haben.

Petit Bateau, Tobago Cays

TOBAGO CAYS
Wir segeln am nächsten Tag eine Bucht weiter, mitten in das Riff der Tobago Cays. Wunderschön und atemberaubend brechen die Wellen im seichten Wasser. Auch hier wurde der Film Fluch der Karibik gedreht, kein Wunder. Wir navigieren besonders aufmerksam und werfen den Anker im Windschatten vor zwei kleinen unbewohnten Inseln. Abends gibt es Sushi mit selbst gefangenem Thunfisch, life is good. Was jetzt kommt erklären die Bilder am besten. Schildkröten, Rochen, Fische, Tintenfische und sogar ein kleiner Hai. Wie im Film genießen wir den Wildtierzoo vor unserer Haustür.

Baradal & Turtle Beach, Tobago Cays

Die Zeit scheint still zu stehen. Es ist Nebensaison und zwischendurch sind nur noch drei Boote vor Ort. Täglich fragen uns die Fischer, ob sie ein Barbecue für uns ausrichten dürfen. Für unseren Geschmack ziemlich hochpreisig, verhandeln wir ein bisschen nach. Schon öfter ist uns aufgefallen, wie teuer das Reisen in der Karibik ist. Viele Charter Boote kommen mit Touristen, die in ein bis zwei Wochen nicht auf das Geld schauen, so scheint es. Wir dagegen leben auf unseren Booten, haben begrenztes Budget und verstehen uns mehr als Gäste statt als typische Touristen. Sie geben uns etwas Rabatt und wir bekommen ein preislich immer noch gesalzenes aber auch super leckeres Barbecue bei Sonnenuntergang.

Petit Bateau, Tobago Cays

Immerhin unterstützen wir damit auch die Bevölkerung, die letztes Jahr durch den Hurrikan Beryl stark getroffen wurde. Man sieht es einigen Inseln deutlich an, kaputte Häuser, Ruinen und zerstörte Vegetation. Auf Union Island leben sie zum Teil noch in Zelten. Der ehemalige Yachtclub, eine zerstörte Ruine, nicht mehr als ein paar Betonreste. Als wir zwei Tage später ausklarieren wollen, klettern wir mangels eines Steges über Balken und Sandsäcke an Land. Das improvisierte Büro von Customs und Immigration finden wir in einem Hotel.  

Union Island

Bisherige Route von St. Vincent nach Grenada
Bisherige Route von St. Vincent nach Grenada

CARRIACOU (GRENADA)
Wir ziehen weiter Richtung Carriacou, eine Insel die bereits zu Grenada gehört. Die Bucht gleicht einem Bootsfriedhof. Unzählige Boote, von großen Yachten zu kleineren Motorbooten, alle sind sie stark beschädigt. Mastbruch, zerrissene Segel, Schieflage. Wir können die Kräfte durch den Hurrikan nur ansatzweise erahnen und überlegen gleichzeitig, wohin wir flüchten, wenn es soweit ist. Beryl fegte 2024 Anfang Juli als Hurrikan der Stufe 4 über die Inseln und Juli ist keine 3 Wochen mehr entfernt. Im Zweifel südwärts Richtung Festland. Erstmal segeln wir weiter nach St. George, die Hauptstadt von Grenada im Süden der Insel. Sventjas Bruder verabschiedet sich von Bord und fliegt zurück in die Heimat. Wir lassen nach all den Urlaubseindrücken Ruhe an Bord einkehren und schreiben neue to do Listen für Wartung und Reparaturen. Parallel schauen wir auf die Weltkarte welche Länder uns anlachen und schielen jeden Morgen auf den Wetterbericht. Push Nachrichten für eventuelle Hurrikan Warnungen sind sowieso schon länger aktiv. Zu Beginn der Saison bilden sich die Wirbelstürme meist vor Afrika in der innertropischen Konvergenzzone und man bekommt Warnungen mit etwas Vorlaufzeit. Im Zweifel schaffen wir es in weniger als 24h nach Trinidad und das reicht uns vorerst.

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Kommentare: 3
  • #1

    Marlis (Donnerstag, 19 Juni 2025 18:09)

    Oh my - mir fehlen fast die Worte - so schön und interessant sind eure Berichte. Danke für die Wahnsinns Fotos , die spannende Beschreibung eures Riff- Manövers und eure Gedanken zur ungleichen Verteilung der Chancen auf der Welt . Gute Weiterreise

  • #2

    Markus (Donnerstag, 19 Juni 2025 21:44)

    Wieder mal ein wunderbarer Bericht eures aufregenden Seglerlebens! Interessante Texte und wunderschöne Bilder, da kommt einfach Neid auf;-) Wir wünschen euch eine gute Weiterreise und uns bald einen neuen Blog.

  • #3

    Philipp (Montag, 23 Juni 2025 17:31)

    keep sailing and be happy

    Grüße aus Franken